Im Gespräch mit Kirsten Reko
Ein persönliches Selbstinterview, das Einblicke in ihr Buch
"und niemand half mir auszubrechen" gibt.
Kommen wir zu Ihrem Buch. Worum geht es in „Und niemand half mir auszubrechen“?
Es ist eine Tatsachenerzählung über eine Frau, die in einer gewaltvollen Beziehung lebt. Der Titel verweist auf ihr inneres Erleben: das Gefühl, keine Hilfe zu bekommen. Es geht um emotionale Abhängigkeit, um das Schweigen im Umfeld und um die stille Verzweiflung, die sich über Jahre hinweg ausbreitet.
Warum dieser Titel, wenn es doch Hilfe gab?
Weil die Hilfe nicht erkannt wurde, nicht angenommen werden konnte oder nicht begleitend genug war. Der Titel beschreibt nicht die objektive Realität, sondern die subjektive Erfahrung der Protagonistin. Für sie fühlt es sich so an, als hätte niemand geholfen – und dieses Gefühl ist zentral für das Verständnis ihrer Geschichte und die vieler Frauen in ähnlicher Situation.
Was macht die Erzählung so besonders?
Sie ist keine Heldinnengeschichte, sondern das, was oft übersehen wird: die Lähmung, die Angst, die Hoffnung auf Veränderung durch den Täter selbst. Es ist ein stilles Buch. Und gerade deshalb laut.
Wie sind Sie dazu gekommen, gerade über dieses Thema zu schreiben?
Die Geschichte hat mich gefunden. Es war eine reale Begegnung – eine Frau in meinem Umfeld, deren Erleben mich tief erschüttert hat. Ihre Worte, ihre Unsicherheit, ihr vermeintliches Unvermögen– all das hat sich in mir festgesetzt. Ich habe lange gezögert, ob ich darüber schreiben darf. Aber irgendwann wurde mir klar: Wenn ich es nicht tue, bleibt ihre Geschichte ungehört. Ich wollte ihr eine Stimme geben – nicht um zu urteilen, sondern um zu zeigen, wie schwer es ist, sich aus einer solchen Beziehung zu lösen. Und wie leicht wir als Gesellschaft übersehen, was eigentlich direkt vor uns liegt.
Wie haben Sie die Balance zwischen Nähe und Distanz beim Schreiben gefunden?
Ich habe versucht, nicht nur genau hinzusehen, sondern zu verstehen. Die Nähe entsteht durch das Zuhören, durch das Ernstnehmen der inneren Welt meiner Protagonistin. Die Distanz war nötig, um nicht zu vereinnahmen. Ich wollte nicht in ihre Stimme hineinsprechen, sondern ihr Raum geben. Aber es hat mir viel gegeben das in dieser Weise zu verarbeiten.
Gab es Momente, in denen Sie gezweifelt haben, ob Sie diese Geschichte veröffentlichen sollten?
Ja, viele. Es ist ein sensibles Thema, und ich hatte großen Respekt davor, ob ich der Geschichte gerecht werde. Aber gerade weil sie so oft übersehen wird, war mir klar: Schweigen hilft niemandem. Sichtbarkeit kann ein erster Schritt sein.
Wie haben Sie die Sprache gewählt, nüchtern, literarisch, emotional?
Ich habe mich für eine reduzierte, klare Sprache entschieden. Keine Effekte, keine Dramatisierung. Die Geschichte ist stark genug. Ich wollte, dass die Leser*innen die Stille spüren und die innere Spannung, die sich nicht in lauten Worten zeigt.
Was wünschen Sie sich, dass Leser*innen nach der Lektüre mitnehmen?
Ein anderes Verständnis für das, was Gewalt bedeutet. Nicht nur körperlich, sondern emotional, strukturell, psychologisch. Und vielleicht auch mehr Geduld im Umgang mit Menschen, die scheinbar „nicht handeln“. Denn oft ist das Nicht-Handeln ein Ausdruck von Ohnmacht, nicht von Gleichgültigkeit oder gar Zustimmung.
Wie vermeiden Sie Schuldzuweisungen oder Vereinfachungen?
Das ist mir in der Tat schwer gefallen. Ich habe beobachtet und versucht nicht zu bewerten. Ich zeige, wie komplex die Dynamik ist, wie sich emotionale Abhängigkeit, Scham und gesellschaftliche Erwartungen vermischen. Die Protagonistin ist nicht schwach. Sie ist gefangen. Und das ist ein Unterschied.
Gab es Szenen, die besonders schwer zu schreiben waren? Ja. Vor allem jene, in denen die Frau Hilfe angeboten bekommt und sie nicht erkennt oder annimmt. Diese Momente sind schmerzhaft, weil sie zeigen, wie tief die Bindung zum Täter reicht. Und wie schwer es ist, sich selbst als hilfsbedürftig zu erkennen.
Was möchten Sie mit dem Buch erreichen?
Ich möchte Verständnis schaffen für das Unsichtbare. Für das, was nicht laut schreit, aber dennoch existiert. Das Buch soll Gespräche ermöglichen – über Gewalt, über Abhängigkeit, über das Schweigen. Und vielleicht auch über das Zuhören.
Ist das Buch auch für Angehörige geschrieben?
Unbedingt. Es kann helfen zu verstehen, warum Betroffene nicht „einfach gehen“. Warum gut gemeinte Ratschläge oft ins Leere laufen. Und warum Geduld, Präsenz und Empathie so viel wichtiger sind als schnelle Lösungen.
Wie passt dieses Buch in Ihre Gesamtarbeit als Autorin?
Es ist ein stilles Buch, aber ein wichtiges. Ich schreibe zwischen den Welten und diese Geschichte gehört zu einer Welt, die oft im Schatten liegt. Sie ergänzt meine anderen Werke, weil sie zeigt, wie tief menschliche Erfahrungen reichen und wie wichtig es ist, ihnen eine Stimme zu geben.
Welches Feedback wünschen Sie sich von Leserinnen und Lesern?
Ich wünsche mir, dass Leser*innen sich mit der Geschichte auseinandersetzen, nicht nur mit der Handlung, sondern mit dem Gefühl dahinter. Und dass sie bereit sind, hinzusehen, wo andere wegschauen. Letztlich wünsche ich mir, dass Leser*innen nachhaltig und begleitend helfen oder selbst Hilfe annehmen.
